Das Leben ist kein Kinderspiel. Wirklich nicht. Aber die Kinderspiele sind ein Ausdruck der Lebenswirklichkeit. Alle klassischen Kinderspiele spiegeln das Alltagsleben wider. Schon Adam und Eva fingen damit an, sich zu verstecken, als sie schuldig geworden waren. Verbergen und Verstecken sind reizvolle und notvolle Lebensweisen geworden. Auch das "Schwarze-Peter-Spiel" begann schon unter den ersten Menschen. Adam schiebt den Schwarzen Peter der Eva und Eva der Schlange zu. So wird in der langen Geschichte der Menschen bis heute gespielt, indem einer dem anderen die Verantwortung zuschiebt. Mit welcher Lust spielen Kinder "Mensch-ärgere-dich-nicht!". Andere rausschmeißen, selber vorankommen. Mancher bleibt auf der Strecke, jeder möchte seine Steine nach Hause und in Sicherheit bringen. Das ist doch kein Spiel, sondern die harte Alltagswirklichkeit unseres Lebens. Auch das königliche Spiel ist ein Abbild des Menschen. Schach bietet tausend Möglichkeiten, aber immer ist das Ziel dasselbe, den Gegner matt zu setzen. König und Dame sind die wichtigen, die dummen Bauern die unwichtigen Figuren auf dem Feld des Lebens. Die Bauern werden geopfert, die Läufer müssen rennen, die Springer springen, der Turm muss in der Schlacht bestehen. Alles dreht sich um den König, aber die Dame ist im Grunde viel wirkungsvoller, und ohne die Dame sieht es schlecht aus. So ist das Leben.
Auch das beliebte Kinderspiel, das auf den Bürgersteigen gespielt wird, Himmel und Hölle, erinnert an den Ernst des Lebens. Jeder hat den Traum vom Himmel, und schnell ist man wieder unten in der Hölle gelandet. Und dann noch die kindliche Lust am Verkleiden und Maskieren. Wie amüsant sind Kindermaskeraden. Aber sind das nicht die Weisen, mit denen wir Erwachsenen voreinander bestehen? Verkleidet und maskiert, und das wahre Gesicht verbirgt sich hinter kostbaren und kunstvollen Masken. Und schließlich sind auch alle Kampfspiele, die man Kindern ohne Erfolg verbietet, ein Ausdruck tiefer Menschenart. Andere besiegen, unterkriegen und oben bleiben sind letzte und starke Wünsche des menschlichen Herzens. - Nein, unser Leben ist kein Kinderspiel. Die Welt, in der wir leben, ist kein Spielplatz, kein Schauplatz, sondern immer und für jeden der Ernstfall. Unser Leben ist einmalig und kostbar, wertvoll und hoch angesetzt. Darum wollen wir es nicht verspielen und vertändeln, zum Theater oder Schauspiel degradieren, sondern richtig leben, erfüllen und auch einmal vollenden bei dem, der das Leben ist, aus dem es quillt, zu dem es hinzielt, dem lebendigen Gott.
"Bei dir ist die Quelle des Lebens!"
(Psalm 36,10)
Axel Kühner "Überlebensgeschichten für jeden Tag"
© 1991 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 21. Auflage 2018
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
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