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»Gedanken für den Tag«

AutorenbildAxel Kühner

Lammesweg geht über Löwenmacht

Auf dem Berge Mandara hauste ein mächtiger Löwe. Unaufhörlich riss er andere Tiere und nahm sie zur Beute. Die Tiere hielten in ihrer Angst eine Versammlung ab und kamen überein, dem Löwen einen Vorschlag zu machen. Unbestritten sei er, der Löwe, der König der Tiere. Aber bevor er sich jeden Tag auf seinen Beutezügen so anstrengen müsse, wollten die Tiere ihrerseits ihm jeden Tag freiwillig eines aus ihrer Mitte zum Fraß bereitstellen. So könne er im Schatten liegen und brauche sich nicht mehr so zu bemühen. - Der Löwe war geschmeichelt und willigte ein. Die Tiere führten jeden Tag ängstlich ein Tier herbei. Da fiel die Wahl auf einen Hasen. Der alte Angsthase dachte bei sich, man müsse klug sein, wenn man sein Leben behalten wolle. Schleppend und hinkend näherte er sich dem Löwen und erzählte aufgeregt, dass ihn unterwegs ein noch mächtigerer Löwe überfallen habe. Nur mit Mühe habe er entkommen können. Zornig sprang der Löwe auf und befahl dem Hasen, ihm diesen schändlichen Widersacher zu zeigen. Der Hase nahm den Stolzen mit zu einem tiefen Brunnen, zeigte dem Löwen sein eigenes Spiegelbild im tiefen Wasser und rief, da unten sitze er. Aufgeblasen vor Wut warf sich der Löwe in den Brunnen und ertrank.


Löwenweg und Löwenmacht haben in der Geschichte der Menschheit unendlich viel Grausamkeit und Zerstörung, Leid und Schmerzen, Blut und Tränen hervorgebracht. Kriege und Untergang, Trümmer und Tote, Flucht und Folter, Hunger und Hass, Armut und Ausbeutung säumen den Löwenweg. Löwen haben immer andere für sich geopfert, um ihre Macht zu beweisen und selber zu überleben. Aber Löwenmacht ist nur begrenzte, zeitlich und räumlich begrenzte Macht, weil sich auf Dauer und Länge auf dem Wege der Gewalt kein Reich gründen lässt. Letztlich sind Löwenwege immer in der Zerstörung geendet. Letztendlich führte Löwenmacht immer in die Vernichtung, erst anderer und schließlich auch zur eigenen Vernichtung. Wege der Gewalt und Menschen der Macht haben nie wirklich überleben können. Aber sie haben viel Unglück und Schmerzen bereitet.


Gott hat einen anderen Weg gezeigt, den Weg der Liebe, des Opfers, der Geduld und Versöhnung. Jesus hat seine Macht an die Liebe gebunden und seine Liebe im Opfer stark werden lassen. Er hat sich für andere geopfert und ist zum Überwinder geworden. Sein Lammesweg geht über alle Löwenmacht.


"Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt die Sünde trägt!"

(Johannes 1,29)

 

Axel Kühner "Überlebensgeschichten für jeden Tag"

 © 1991 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 21. Auflage 2018

 Mit freundlicher Genehmigung des Verlages


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